Hallo! Ich habe ein Problem die Trauer um meinen Vater zu verarbeiten. Vielleicht hat jemand die Geduld, die Geschichte zu lesen und sagt mir seine Meinung.
Zu meinem Vater hatte ich ein ganz gutes, aber auch gespanntes Verhältnis. Er war enttäuscht, dass ich mein Studium geschmissen habe (Versagerin), hat sich auch ansonsten nicht weiter uns gekümmert, viel gearbeitet und danach auf dem Sofa gelegen. Er hat sich schon mit uns unterhalten, als wir kleiner waren mit uns geschmust und gespielt und im Urlaub Ausflüge mit uns gemacht, aber es war keine intensive Beziehung. Trotzdem habe ich meinen Vater sehr lieb gehabt und konnte mir nie vorstellen, ihn zu verlieren, trotz allem. Er war kein böser Mensch, aber ignorant und selbstbezogen. Er hat uns eben auf seine Art geliebt, er hat uns versorgt.
In 2005 bekam ich einen Anruf von zu Hause in dem mir mein Vater mitteilte, er hätte gestreuten Krebs und noch 3 Monate zu leben. Er hatte seine Nachuntersuchungen von einem entfernten Krebs im Bauchraum verschludert und nun war es zu spät. Er weinte und ich schrie und weinte. Er meinte es täte ihm leid mir das anzutun. Ich wollte sofort zu meinen Eltern fahren (700 km), aber mein Vater weigerte sich, wollte mich nicht sehen. Nach dem Auflegen starrte ich meinen Mann nur noch an. Es war wie einen Schalter umlegen: Das berührt mich nicht. Ich sagte zu meinem Mann: Jetzt gehst Du aber zum Arzt wegen Deiner vergrößerten Lymphknoten, da mache ich mir schon lange Sorgen. Mein Mann sagte: Ja, mache ich.
Ab da richtete ich einfach meine ganze Sorge auf meinen Mann. Es stellte sich nach 2 Wochen heraus, alles in bester Ordnung.
Ich rief täglich zu Hause an. Mein Vater wollte niemanden sprechen. Er bekam trotz allem Chemo. Ich durfte weiterhin nicht hinfahren. Ich dachte einfach nicht mehr oft an ihn. Wie ich das geschafft habe, weiss ich nicht. Eigentlich dachte ich wenn -dann pausenlos an meine Mutter. Ich hatte viel mehr Angst sie zu verlieren als ihn, wie sie daraus hervorgeht. Die Beziehung zu ihr war immer schon viel intensiver. Ich war es sowieso gewöhnt, nie mit meinem Vater zu sprechen, er hat mich nie angerufen. Ich wußte nur, es geht ihm jetzt dreckig. Und er wollte plötzlich seine Kleine sehen nicht etwa mich, nein, meine Nichte, seine Enkelin. Dazu kam es aber nicht.
Nach genau zwei Monaten kam der Anruf meiner Mutter. Papa geht es sehr schlecht, er hat eine Infektion, möchtest Du ihn noch sehen. Ich buchte einen Flug und dachte: Hoffentlich ist er verstorben bevor ich da bin. Dann ist er erlöst, meine Mutter muss ihn nicht noch Monate pflegen, und ich muss nicht sehen wie er jetzt aussieht, dünn, ohne Haare, muss mich nicht verabschieden. Ist ja auch eh was sie wollten, dass ich es nicht sehen muss. Diesen Gedanken hatte ich, und wenn ich es schreibe schäme ich mich: Wie kann man wünschen dass der Vater stirbt bevor man sich verabschieden kann? Aber er lag sowieso schon im Koma, wäre nicht ansprechbar gewesen.
Im Auto zum Flughafen: Mein Bruder ruft an: Papa ist gestorben. Ich weinte drei Tränen. Fühlte Erleichterung während meine Schwiegereltern im Auto weinten. Am Flughafen rief ich meinen Mann an. Mein Vater ist gestorben. Mein Mann war völlig fertig. Ich war eiskalt, sagte, ist doch gut so. Er ist erlöst und wir alle auch. Er sagt mit der Nachricht muss ich erst fertig werden. Ich: Ich nicht. Melde mich nachher.
Mein Bruder holt mich ab. Ich frage ihn Was fühlst Du? Er sagt: Nicht viel, ehrlich gesagt. Unser Verhältnis war ja nicht so toll. Sei froh dass Du ihn nicht da hast liegen sehen. Das war heftig.
Ich sah meine Mutter, sie weinte nicht, lächelte mich an, nahm mich in den Arm. (Sie ist ein starke Frau). Wir organisierten die Beerdingung zusammen. Ich sah ihn nicht mehr. Alles war kein Problem für mich. Die Beerdigung, die Trauerfeier: Keine Gefühle in mir. Warum kondoliert Ihr ,dachte ich? Mir geht es gut. Alle weinten. Mein Mann weinte. Ich nicht. Meine Mutter nicht, mein Bruder nicht. Meine Mutter sagt, in mir ist nur Wut, ich kann nicht weinen.
Zu Hause: Ich warte auf den Knall. Nichts geschieht....Ich sehe alte Fotos, fühle nichts. Ich mag nur nicht andere über den Tod meines Vaters reden hören, vermeide das Thema. Also muss doch da was sein...Die Bilder zum Schluss, das Bild vom offenen Sarg:Habe ich nie gesehen, nein Danke. Ansonsten: Es geht mir gut. Ich kann am Grab stehen und einpflanzen, es macht mir nichts aus. Ich höre in mich rein: Nein, da ist nichts.
2008. Ich habe Stress in allen Bereichen, privat, Arbeit...Ich kann plötzlich nicht mehr zu meiner Mutter fahren: Habe dort nur Panikattacken. Ich überlege: Ist es weil ich mir gar nicht bewußt mache, was passiert ist- denn einen Unterschied gibt es für mich nicht, hier, 700 km entfernt - und wenn ich dort bin, sehe ich die Lücke, das leere Sofa, leere Zimmer? Ich bin mir nicht im Klaren. eigentlich habe ich den Tod meines Vaters nicht ERLEBT. Nur davon gehört sozusagen...
Ich habe Angstattacken. Stehe am Grab, plötzlich weine ich....weiss nicht warum, vermissen, kann ich ihn vermissen, er hat mir nichts von sich gegeben.
Ich spreche mit meiner Mutter über den Tag der Diagnose...muss plötzlich weinen. Spreche darüber dass ich ihn gar nicht krank gesehen, das Leid nicht gesehen habe...muss plötzlich weinen.
Ich sage zu meiner Mutter: Schick mir die Bilder vom offenen Sarg, vielleicht begreife ich es dann....
Oder sollte ich das lieber nicht tun? soll ich die Bilder lieber nicht ansehen? Können die Panikattacken jetzt, nach 3 Jahren, noch vom Tod meines Vaters kommen?