Schlecker: Eine Bilanz
http://www.jungewelt.de/2012/09-04/001.php
Schlecker ist Gescünhichte. Mehr als 30000 Beschäftigte, größtenteils Frauen, haben ihren Job verloren. Die Schlecker-Familie hat laut Bild-Zeitung hingegen noch genug Geld, um für ihre in die Insolvenzmasse übergegangene Villa im baden-württembergischen Ehingen ein Millionenangebot vorzulegen. Dabei hatten die Schlecker-Kinder Lars und Meike doch erklärt, es sei kein Geld mehr da. Ihr Vater Anton habe alles abgeben müssen vom Sportwagen bis zur schönen Uhr. Allein das zeigt: Die Pleite des Drogeriegiganten ist ein Lehrstück über die Funktionsweise des Kapitalismus. Aus ihr gilt es, Schlüsse zu ziehen. Einen ersten Versuch der Aufarbeitung unternimmt die Stuttgarter ver.di-Sekretärin Christina Frank im aktuellen Express.
Der Wert von 30000 Frauenarbeitsplätzen und die sozialen Auswirkungen der Pleite haben in der gesamten Fortführungsdiskussion nur am Rande eine Rolle gespielt, bilanziert Frank. Die politischen Entscheidungsträger haben die Frauen im Regen stehen lassen. Gemeint ist damit die FDP aber nicht nur. Die Marktradikalen hatten sämtliche Forderungen nach staatlicher Unterstützung und Finanzierung wenigstens einer Transfergesellschaft auf Bundesebene blockiert. Frank will aber die anderen Regierungsparteien nicht aus der Verantwortung entlassen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum sich Bundesländer, die nicht von der FDP abhängig sind, dagegen sperrten, zumindest auf Länderebene Transfergesellschaften einzurichten und sich statt dessen hinter der radikalen Klientel-Partei FDP versteckt haben, schreibt die Gewerkschafterin. Die Einrichtung einer Transfergesellschaft wäre nicht nur für die von der ersten großen Entlassungswelle Betroffenen wichtig gewesen, sondern auch für den Erhalt des Unternehmens. Sie hätte die folgende Flut von Kdigungsschutzklagen verhindern können, durch die eine Fortführung der Geschäfte erschwert wurde.
Entgegen vollmundiger Versprechungen der Arbeitsagentur sieht es auf dem Arbeitsmarkt für die Frauen nicht rosig aus, stellt Frank fest. Den aktuell 25000 offenen Stellen im Einzelhandel stünden 360000 Arbeitssuchende gegenüber. Nun stoßen die Schlecker-Frauen mit vergleichsweise schlechten Sozialdaten hinzu. Die Bundesagentur für Arbeit hat nach eigenen Angaben von den 11000 bereits im Frühjahr Entlassenen rund 5000 in einen neuen Job oder eine Fördermaßnahme vermittelt. Gekostet hat allein das mehr als 130 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die staatliche Bürgschaft zur Einrichtung einer Transfergesellschaft hätte sich auf 70 Millionen Euro belaufen. Nach Erhebungen von ver.di hat von den genannten 5000 Beschäftigten nur etwa die Hälfte einen gleichwertigen Arbeitsplatz gefunden. Dabei sind viele der Betroffenen Hauptverdienerinnen und oftmals alleinerziehend. Was der Jobverlust für sie und ihre Kinder bedeutet, kann man sich denken.
Nicht vorstellen können sich das aber offenbar Lars und Meike Schlecker. Diese haben gar die Dreistigkeit, der Gewerkschaft die Schuld für ihr Scheitern in die Schuhe zu schieben. Ver.di sei in der Rolle des Verteidigers des Flächentarifvertrags gefangen gewesen und habe es verhindert, die Personalkosten signifikant zu senken, heißt es in der erwähnten Stellungnahme. Anton Schlecker war viele Jahre der Inbegriff des moralisch schlechten Unternehmers, eine Herausforderung für die Gewerkschaft, schreibt Frank. Zuletzt war klar: Auch die Kinder des Unternehmers, Anfangs Hoffnungsträger für die Beschäftigten, haben den Weg des Vaters als Unternehmer fortgesetzt. Sie haben ihr Vermögen zum einen aus der umstrittenen Leiharbeitsfirma Meniar auf Kosten der entlassenen und zu schlechteren Konditionen wieder eingestellten Schlecker-Frauen gemacht, zum anderen haben sie am Schluß mit überhöhten Logistik-Rechnungen wesentlich daran mitgewirkt, daß die Sanierung schleppend verlief.
Auch für ver.di bedeutet die Pleite der Drogeriekette einen empfindlichen Rückschlag. Denn Schlecker war ein Beispiel für erfolgreiche gewerkschaftliche Organisationspolitik. Trotz der schwierigen Bedingungen und ihrer Vereinzelung in den kleinen Filialen haben es die Beschäftigten geschafft, Tarifstandards durchzusetzen. Zynisch sei, daß die Tarifbindung nun zum Standortnachteil herunter definiert wird, weil Rossmann, Müller und selbst dm als Konkurrenten bis zu 20 Prozent unter dem Tarifniveau zahlen, anstatt diese dafür zu kritisieren, so Frank. Aus ihrer Sicht zeigt der Fall Schlecker, daß gewerkschaftliche Politik sich nicht nur in konsequenter Tarifpolitik erschöpfen darf. Die Beschäftigtenorganisationen müßten auch auf politischer Ebene agieren und seien gefordert, alternative solidarische Politik- und Wirtschaftsentwürfe durch Kampagnen zu verbreiten.