Bitte blicke einmal...
...hinter die Stirn des anderen. Sicherlich nervt es, wenn andere dies nicht tun, und von Äußerlichkeiten eine Komplettdiagnose des ganzen Menschen samt psychologischen Problemen anfertigen.
Aber im Übrigen tun wir das alle, ausser Autisten.
Unsere soziale Wahrnehmung ist so konzipiert, dass wir binnen drei Sekunden eine neue Person in ein grobes Raster (Distanz, Symphatie oder Skepsis) stecken und binnen weiterer 20 bis 30 Sekunden eine für uns ziemlich genaue Vorstellung entwickeln, wer der andere ist. Vielleicht nicht einmal ausformuliert, gleich einer ".zip-Datei" auf dem Computer packen wir den "Eindruck" in eine erinnerte Stimmung, die wir von nun an ziemlich fest mit dieser Person verbinden.
Beobachte Deine eigene Vorgehensweise einmal, wenn Du eine neue Person kennen lernst. Evolutionisten glauben, es war für den wilden Mann im wilden Wald halt früh schon wichtig, die Intentionen eines anderen schnell beurteilen zu können. Wichtig ist es auch heute noch, da es Bestandteil einer jeder Kultur ist. Nicht von Ungefähr sind z. B. Mimiken und einige Gesten, die mit Gefühlen verbunden sind, bei jedem Menschen, jeder Kultur, gleich.
Nur oftmals irren wir uns; selbst wenn wir eine ausserordentliche hohe "emotionale Intelligenz" besitzen würden, die diese "Kennungen" einwandfrei interpretieren könnte: Das Problem ist, dass wir gezwungen sind, hierbei von Details auf den ganzen Menschen zu schliessen, von einem Augenblickszustand auf sein ganzes Leben. Nur mal ehrlich - ich selbst habe mich schon dabei ertappt, wie schwer es mir fällt, vorbehaltlos ein gefälltes Urteil über einen anderen im Nachhinein zu revidieren. Wir denken nun einmal, indem wir Vorhandenes mit Neuem verknüpfen und so die Umwelt einordnen (und ihr damit manchmal unrecht tun).
Hieraus kannst Du folgendes ableiten:
1.Wenn sich der Chef so um Dein Wohlergehen bemüht, hast Du jede Menge Sympathiepunkte eingesammelt. Er hätte sonst geurteilt und Dich nicht eingestellt, geschweige denn persönlich Anteil an einem vermuteten Problem genommen.
2. Nun hast Du (durch viele solche Erfahrungen)auf sein Hilfsangebot mit erkennbarer Reizung reagiert; auch wenn Du äusserlich ruhig geblieben warst (weiß ich ja nicht):
Die leicht erhöhte Stimme, das feine Spiel der Augenwinkelmuskulatur, angedeutete Schutzgesten... signalisieren dies untrüglich; auch Menschen, die das nicht bewusst erkennen, nehmen diese Signale als eigene innere Spannung wahr.
3. Nun verbindet sich dieser neue Eindruck Deines Chefs mit dem Alten:
"Sie ist innerlich angespannt und reagiert nervös, vielleicht ängstlich, auf meine gezeigte Freundlichkeit und Offenheit und ist daher nicht in der Lage, zu verstehen, dass ich ihr Bestes will. Sie sieht ihre ganze Umwelt (s. o. -> "von Details aufs Ganze schließen") so, als wäre sie ihr feindlich gesinnt. Sie hat ein psychologisches Problem, welches diese Nervösität und ihre Magersucht auslöst. Ich versuche also noch ein paar Mal, ihr das bewusst zu machen, auch wenn es ihr schmerzlich erscheint, da ich sie irgendwie ja mag und Verantwortung habe. Wenn sie aber partout nicht will, bin ich beleidigt, weil mein Bemühen ohne Erfolg war. Dann soll sie bleiben, wo der Pfeffer wächst!"
Dein Chef mag Dich also erstmal, er ist prinzipiell hilfsbereit, und er ist ehrlich. Du scheinst einen netten Vorgesetzten zu haben, der leider aber als Mensch menschlich urteilt. Noch hast Du einen Bonus bei ihm, diesen kannst Du Dir aber durch Ablehnung verscherzen. Das heißt nicht, dass Du nun wie empfohlen, einen Therapeuten aufsuchen solltest. Ich rede eher von innerer Ablehnung, die immer - auch unbewusst - transportiert wird. Innere Ablehnung gegen ein persönliches Entgegenkommen (welches aus Werten wie Verantwortungsbewusstsein, Hilfsbereitschaft... entwickelt wurde, auf die der Träger zu Recht stolz ist und als Teil seiner Persönlichkeit sieht), wird auch von Männern mit der Ablehnung der ganzen Person innerlich gleichgesetzt und als Brüskierung empfunden. Du hst einen netten Chef. Mache Dir das bewusst, und reagiere entsprechend. Falls Du dabei beginnst, ihn auch etwas mehr zu mögen, dann kannst Du auch locker bleiben, vielleicht eine entspannte heitere Antwort geben, die weitere Sympathien bewirkt (also kein Sarkasmus). Dann fühlt er sich selbst auch verstanden und ernst genommen und Du Dich ebenfalls, weil er nicht wegen Deiner inneren Ablehnung auf seiner Ansicht verharren muss:
Du könntest ihn anstrahlen / freundlich anblicken (was halt Deiner Art bei Wohlgefallen entspricht) und morgen begrüßen: "Moin, Chef! Ich hab noch mal drüber nachgedacht, was Sie mir wegen Magersucht und so erzählt haben. Tut mir leid, wenn ich ein bischen gereizt war, ich werde halt von vielen Leuten für magersüchtig gehalten, und das nervt mich ein wenig. Eigentlich fand ich es aber nett, dass Sie sich so um mein Wohl kümmern und auch ehrlich sagen, was Sie denken. Glauben Sie wirklich, ich sei magersüchtig?" ---Antwort---, wahrscheinlich wird er etwas schwammig daherreden --- "Ich verstehe ja ihre Sorge um mich. Ich möchte aber einen sorgenfreien Boss. Wissen Sie was? Ich habe eine Idee: Sie laden mich heute mittag einfach zum Essen ins (Name eines Restaurantes, wo Du schon immer mal hin wolltest, Dir aber zu teuer ist) ein, und ich beweise Ihnen, dass ich das Essen dort gar nicht ekelig finde!" --- "Heute geht leider nicht? Dann morgen? Übermorgen..." ---- "Nein eine Pommesbude geht leider nicht. Da finde ich's wirklich zum kotzen. Leider kann ich mir von gutem Essen selbst nicht so viel leisten - vielleicht wäre ich sonst nicht so dünn!" ---- "Nein, ich beschwere mich doch nicht über das Gehalt, ich bin immer zufrieden und glücklich. Aber wenn Sie das meinen, einen Gehaltserhöhung ist doch immer eine gute Therapie!"
Das ganze herzlich mit einem Augenzwinkern vorgetragen, und Du wirst keine Symphatie einbüßen, aber mehr Respekt vor Deiner gesamten Person bewirken... und vielleicht das Pausenbrot gegen Sushi oder Ente Orange tauschen können - und Begriffe wie "dünn", "essen", "Therapie" wird Dein Chef ängstlich aus seinem Wortschatz streichen :-))!
Mal sehn, ob ich schon Time - Out hab und ob soviel Zeilen reinpassen... ich glaub, ich sollte doch Heimatromane schreiben *örgZ*
Stephan