Wilde_Mathilde Hallo zusammen, ich weiss, dass der Titel provokant ist aber ich würde gern wissen, ob ihr ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht habt.
Nicht die gleichen Erfahrungen.
Vor dem Covid war ich immer relativ dünn (1,70 m, 60 kg, BMI = 20,8) und soweit ich mich daran erinnern kann spielte das Essen keine besonders wichtige Rolle in meinem Leben.
Ich habe immer schon gerne leckere Sachen zubereitet/gekocht und gegessen - gerne in Gesellschaft von Menschen, die ich mag. Essen spielte immer eine wichtige Rolle in meinem Leben.
Während der Corona-Ausgangssperre wurde ich total ängstlich und depressiv.
Um dem Stress entgegenzuwirken beschloss ich, mir zu erlauben, mehr zu essen aber auf eine kontrollierte Weise.
Mir hilft gegen Stress und Depression gutes Essen zwar auch. Aber das allein wäre zu einseitig. Die Ausgewogenheit an verschiedenen Reizen und Anregungen macht es. Nur kulinarische Reize - da würde mir etwas fehlen. Gegen Stress brauche ich immer schon auch Dialog, Gehirntraining, Gedankenaustausch, Interaktion, Tätigkeit, Auslauf, Sport, Bewegung und frische Luft.
Und - ganz wichtig - Schmuseeinheiten. Und das Gefühl, gebraucht zu werden. Und am Ende des Tages das Gefühl, etwas Nützliches/Sinnvolles/Gutes getan zu haben.
Ich mag noch so depressiv oder grantig oder genervt oder gestresst sein - nach einem auspowernden Workout bin ich innerlich ausgeglichen. Wenn ich nicht genug unter Menschen komme und nicht genug Gedankenaustausch habe und nicht genug Bewegung und nicht genug frische Luft und nicht genug Interaktion und nicht genug Streicheleinheiten und nicht genug Abwechslung, werde ich zuerst grantig und unrastig und dann depressiv wie ein im Käfig hin und her gehender Panther.
Rainer Maria Rilke: Der Panther - Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Aus: Neue Gedichte (1907)
Ich bin jetzt 76 Jahre alt und ich würde, glaube ich, depressiv werden, wenn meine körperliche Fitness mich zu sehr einschränken würde. An der Reckstange oder am höheren Holm vom Schwebebalken hängend bekomme ich noch fünfzehn Zugstemmen/Muscle-Ups hin - das sind diese Dinger, bei denen man sich erst wie beim Klimmzug hochzieht, bis der Holm oder die Reckstange an der Brust ist, und sich dann weiter in den Hüftstütz hochdrückt. Wenn ich so etwas altershalber oder wegen Gesundheit/hohen BMIs gar nicht mehr könnte, würde mich das deprimieren. Ich könnte dann nicht mehr stolz darauf sein. 😉
Ich versuchte, zu meiner „schlanken Diät“ zurückzukehren. Das Problem war: Nach einer Woche hatte ich SO STARK Lust auf mehr Essen, dass ich nachgab und zu meinen "neuen" Gewohnheiten zurückkehrte.
Es bringt nichts, daheim zu hocken und in die Speisekammer zu starren und fasten zu wollen. Man nimmt ab wenn man viel zu tun hat und so beschäftigt ist, dass man nicht groß ans Essen denkt. Ein Zeit- und Beschäftigungsplan muss her, der nicht hergibt, dass man viel übers Essen nachdenkt.
Dann wurde mir klar, dass ich das Leben tatsächlich viel mehr geniesse als vor Corona, da ich mir viel mehr leckere Sachen gönne, und da viel zu essen einfach Spass macht :-)
Es ist vollkommen okay, gute Sachen zu essen und das, was man isst, zu geniessen. Wenn aber die Freude an den Mahlzeiten die Hauptfreude im Leben ist, sollte man dringend etwas ändern. Und wenn man dazu neigt, beim Essen über die Stränge zu schlagen, und außerdem zu denen gehört, bei denen das Essen anschlägt, dann muss man halt auch die Neigung entwickeln, die Kalorien, die zuviel sind, wieder abzusporteln. Man kann sich dazu ja Sportarten suchen, die man zwar vielleicht als körperlich fördernd aber nicht als Distress empfindet.
Mir geht es nicht im Ansatz um Schönheitsideale oder damit in Zusammenhang stehende Rebellion, sondern um die Gesundheit und darum, dass mein Körper so gut funktioniert, dass er mich nicht einschränkt oder im Stich lässt, sondern dank meines verantwortungsvollen Umganges mit ihm fit genug ist, mir treu ergeben zu dienen, sodass ich in ihm nicht gefangen bin, sondern in ihm machen kann, was ich will und was mich glücklich macht.
Orandum est ut sit mens sana in corpore sano.
Beten sollte man darum, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei.
(Juvenal - Satire 10, 356)