Als Kind im Vorschulalter fand ich Heiligabend toll. Da waren alle meine vier Großeltern bei uns und es gab immer eine oder einen, die/der Mittagschlaf gemacht hat und nichts dagegen hatte, wenn ich mit unter die Decke schlüpfe und mich ankuschle. Auf einen meiner Opas durfte ich bei Mittagschlaf oft sogar ganz draufliegen, während er auf dem Rücken lag. Dann hat er mich bei jedem Atmzug mit seinem beim Einatmen ausfahrenden weichen Bauch angehoben, was sehr kuschlig war. Er hatte an beiden Armen und im Nacken runde Beulen von Granatsplittern, die man damals nicht herausoperieren konnte, und die sich unter der Haut im Gewebe abgekapselt hatten. Wenn ich so auf ihm eingeschlafen war und er irgendwann aber wieder aufstehen wollte, hat er immer gelacht, wobei sein Bauch herrlich wackelte. Wenn ich dann ein Auge aufgemacht hab, hat er mir den Rücken gekrault und gegrinst und gemeint: "Mensch, die Kleine ratzt ja wieder wie ein toter Russe!" Meine Oma hatte Brandnarben von einem Luftangriff mit Phosphorbomben auf dem Rücken und auf ihren Armen und immer wenn ich sie danach fragte, schmunzelte sie und meinte, es täte längst nicht mehr weh, und wenn sie, wie von uns, liebevoll gestreichelt und geschmust werde, täte es ganz besonders nicht weh. Mein anderer Großvater hatte einen selbstgebastelten magischen Wurm aus Plüsch, mit aufgeklebten Kulleraugen, am Bindfaden, den er herrlich aus seinen Hosen- und Hemd- und Jackentaschen und Ärmelaufschlägen herausschlängeln und auf seinem ganzen Körper herumwuseln lassen konnte während er mit den anderen Erwachsenen redete und die alle so taten, als ob nichts wäre. Manchmal machte dieser Plüschwurm es sich sogar auf seiner Ohrmuschel gemütlich und wackelte da und schaute zu uns herüber, ohne dass mein Großvater es merkte. Wenn man nah an meinen Großvater heranging, konnte es auch passieren, dass der Plüschwurm einem kurz auf die Schulter hüpfte und sich dort ringelte und einem dann den Bauch hinunterkrabbelte und etwas zu einem sagte, denn mein Großvater konnte bauchreden. In der Kirche blieb der Plüschwurm aber immer brav in seiner Tasche und kam nicht heraus. Nach der Kirche wieder zu Hause durfte ich meinen Schlafanzug und meine von meiner Mutter aus dicker Wolle gehäkelten warmen Hausschuhe wieder anziehen. Bescherung ging bei uns ganz unhektisch. Die Geschenke, die wir bekamen, packten wir in aller Ruhe aus - schon, damit Geschenkband und Geschenkpapier nicht kaputtgehen, sondern nochmal verwendet werden können. Ich bin nebenher viel geknuddelt worden, was ich mochte. Ich bekam dann auch Aufträge, zB von meinem Vater: "Geh mal zu Mama und gib ihr von mir ein paar Streicheleinheiten", oder von meiner Oma: "Geh mal zum Opa und kraule ihn ein bisschen von mir." Oder: "Bring dem Vetter mal ein Ausstecherle, der schaut schon ganz hungrig aus." So bin ich dann von einem zum anderen gewandert bis ich müde wurde. Dann hab ich mich gerne an meinen Onkel angekuschelt, der auf der Eckbank saß, eine dicke Brille und immer herrlich weiche Rollkragenpukllis trug, und seinen wuscheligen Bart gestreichelt, während er mit den anderen geredet und mich nebenher in den Schlaf gekrault hat.
Inzwischen sind sie alle gestorben und ich mache auch Weihnachten oft bei der Essensausgabe mit. Wenn ich die Leute essen sehe, denke ich an früher, wie gerne meine Verwandten gegessen haben und wie zB bei meinem Opa und meinem Onkel die Äuglein vor Freude geblitzt haben, wenn es ihr Lieblingsessen gab - Kartoffelcremesuppe mit Würstchen und Mischbrot, und wie sie alle immer ihre Teller und die Kochtöpfe und Kacheln und Nachtischschüsselchen mit Brot ganz sauber ausgerieben und ausgetupft haben, damit von dem leckeren Essen auch ja nichts dadurch verschwendet wird, dass es am Geschirr kleben bleibt und beim Geschirrspülen im Abwasser landet.