Gottvertrauen oder Dummheit in der Maske der Unfehlbarkeit?
Washington - Keine andere persönliche oder politische Eigenschaft George W. Bushs flößt Amerikanern so tiefes Vertrauen und so tiefe Abscheu ein wie die Zweifelsfreiheit seines Glaubens. Die Religiosität des wiedergeborenen Christen, der mit 39 Jahren in der Obhut des Predigers Billy Graham dem Alkohol abschwor und Jesus umarmte, hat seit dem 11. September 2001 Bushs Führungsstil und Entscheidungen durchdrungen. Nie ist er beseelter und beredter, ob in Interviews oder bei den Fernsehdebatten mit John Kerry, als wenn er vom Bitten um göttlichen Ratschluß und von den Gebeten seiner evangelikalen Glaubensbrüder sprechen kann. Der Präsident sieht sich, wie er kaum verhüllt zu verstehen gibt, als Vollstrecker des höchsten Willens für Amerika und gegen die Mächte der Düsternis.
"9/11" hat ihn bestimmt. An sich zu zweifeln hieße für ihn, an seinem Glauben irre zu werden. Bush verbietet es sich und anderen. Das ist der Grund, weswegen ihm die einen Amerikaner blind vertrauen. Es ist auch der Grund, weswegen die anderen fürchten, Bush führe sie, trunken von einem religiösen Drogenersatz, blind ins Verderben.
Niemand käme auf die Idee, in John Kerry einen gottgesandten Erlöser zu erkennen. Der einstige Meßdiener und aufgeklärte Katholik ging mit seinem Glauben nicht hausieren. Er machte kaum Worte darum, bis ihm Bischöfe mit der Verweigerung der heiligen Kommunion abstraften und sogar die Stimmabgabe für ihn zur beichtpflichtigen oder in die Verdammnis führenden Sünde erklärten. Kerrys liberale Haltung zur Stammzellenforschung und zur Abtreibung ("Eine Entscheidung, die eine Frau mit ihrem Arzt und mit Gott ausmachen muß") brachte ihn, der im Wahlkampf mit Rosenkranz und Bibel reist, auf den Index mancher Bischöfe.
Es ist ohne Beispiel in der amerikanischen Geschichte, die an Erweckungen und messianischen Figuren keinen Mangel hat, daß katholische Kirchenführer ihn exkommunizieren wollen, statt ihn gegen den Vatikanverdacht zu verteidigen wie 1960 John F. Kennedy. Evangelikale Aktivisten sprechen offen vom Krieg gegen die Ungläubigen in Bushs zweiter Amtszeit. Sie meinen Osama Bin Laden und John Kerry. Und der TV-Evangelist Pat Robertson meint den Präsidenten, wenn er sagt, Bush empfange seine "Weisungen vom Herrn ... es ist der himmlische Segen auf dem Kaiser".
Bushs liberalen, säkular skeptischen Kritikern wird es übel, wenn sie so etwas hören. Es verstößt nicht nur gegen das strikte Trennungsgebot von Kirche und Staat in ihrer Republik, es verhöhnt nach ihrer Überzeugung auch die Verfassung, in der Gott nicht vorkommt. Sie wissen, daß ihre Position gleichwohl an Boden verliert in einem im doppelten Sinn angegriffenen Land, in dem sich 53 Prozent der Bürger stolz als "Fundamentalisten" bezeichnen.
Bushs Verächter empören sich über das, was sie für eine Geistesverwandtschaft der Fanatiker zwischen Amerikas Staatsfeind Nummer eins und Amerikas Präsidenten halten. Es war nicht opportun, aber gewiß auch kein Versprecher, als George W. Bush in den Tagen nach "9/11" zweimal von einem "Kreuzzug" sprach. Bruce Bartlett, einst Berater Ronald Reagans und unter Bush senior im Finanzministerium, setzte seine besten republikanischen Referenzen aufs Spiel, als er Ron Suskind von der "New York Times" seine Sorge über den Präsidenten anvertraute. Bush berufe sich immer auf sein Bauchgefühl und verbitte sich jede Nachfrage: "Dieser Instinkt, von dem er immer redet, ist diese sonderbare messianische Idee von dem, was ihm Gott gesagt hat." Daher sei Bush auch über jeden Zweifel erhaben im Kampf gegen islamistische Fundamentalisten. "Er glaubt, daß man sie alle töten muß ... Er versteht sie, denn er ist genauso wie sie."
http://www.welt.de/data/2004/10/27/351752.html
Auch wenn er kein Alleinherrscher ist, kann er eine ganze menge Schaden anrichten.