Verstehe dich sehr gut
Hallo nicki0622,
damit du mich besser verstehen kannst, muss ich ein bißchen ausschweifen und von mir erzählen. Ich lernte vor 16 Jahren meine Lebensgefährtin kennen. Sie hatte zu dieser Zeit bereits einen eineinhalbjährigen Sohn und wurde bald darauf von unserer Tochter schwanger. Unsere Tochter kam in der 29 Woche zur Welt. Sie ist hochgradig hörbehindert und hat nur eine unterentwickelte Niere. Die ersten zehn Tage kämpfte sie ums Überleben, danach ging es langsam bergauf. Mit acht Jahren hatte sie vierzehn Monate Dialyse und danach eine Nierentransplantation. Seit dem zweiten Lebensjahr versuchen wir ihr eine verbale Kommunikation so gut als möglich angedeihen zu lassen (Hörapparate, spezielle Schule, Kommunikationstraining, bestímmte Therapien). Sie kann nur schwer mit ihrer Umwelt verbal kommunizieren, die meisten Menschen verstehen ihre Aussprache nicht und dadurch kommuniziert sie mit der Gebärdensprache d.h. sie ist auch sozial sehr isoliert.
Meine Lebensgefährtin und ich hatten dadurch viele Spitalsaufenthalte, Therapie- termine, Organisationsaufwände, Ängste, Sorgen, zu wenig Zeit für den Sohn, persönliche Krisen und unweigerlich Beziehungskrisen. Denn meistens funktionierten wir in diesen Situationen einfach und waren froh wieder ein Problem gelöst zu haben. Es hat einmal eine Zeit gegeben, da mußten wir 14 Monate nur funktionieren.
Fakt ist, dass ich unsere Beziehung oftmals als rein freundschaftliche Beziehung sehe, weil ich (ich schreibe jetzt von meiner Perspektive als Mann) mich speziell in solchen Situationen und deren Rahmenbedingungen von meiner Lebensgefährtin gefühlsmäßig so entfernt habe, daß es mir manchmal nicht möglich ist, sie auch nur anzufassen. Meistens bauen sich wieder Gefühle für kurze Zeit auf, aber dann erdrückt die ganze Lebenssituation wiederum die Gefühle.
Auch ich träume oftmals von einer neuen Beziehung, bei der Gefühle leben dürfen (dieser Hunger nach Leben), obwohl ich genau weiß, ich werde meine Lebensgefährtin nicht verlassen und mache auch keine Seitensprünge.
Ich persönlich stelle mir auch oft die Frage, welcher Weg ist besser: neu beginnen und eventuell Gefühle voll entfalten können oder wie zur Zeit sie einsperren, versuchen damit umzugehen d.h. manipulieren (ich traue mir zu behaupten, man wird zum seelischen Krüppel) um den Alltag zu bewältigen.
Ich möchte damit nur eines sagen, du musst dich entscheiden und keiner kann dir die Entscheidung abnehmen und ich glaube das beide Entscheidungen positives wie auch negatives beinhalten. Beide Entscheidungen sind richtig, sowohl auch falsch.
Der Beitrag wurde ziemlich lang, aber ich musste ihn so ausholend schreiben, weil ich sicher sein möchte, dass du meine Kernaussage verstehst.
PS: Glaube mir, dein Mann hat auch gelitten, aber auf seine Art.