Hallo zusammen,
ich bin Journalistin und arbeite für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ARD.
Ich schreibe Ihnen, weil ich für eine Radioserie (erscheint in der ARD-Audiothek) erforsche, warum wir Frauen Kinder haben wollen bzw. nicht haben wollen. Mich interessiert, welche komplexen gesellschaftlichen und persönlichen Umstände mit einer Schwangerschaft zu tun haben. Und dazu gehört auch die Frage, wie es dazu kommt, wenn Frauen es nicht bemerken, dass sie schwanger sind. Es passiert selten, aber immer wieder, dass Frauen es erst merken, wenn die unmittelbare Geburt bevorsteht.
Wie es dazu kommt, dazu ist wenig bekannt, denn es gibt kaum Frauen, die darüber sprechen. Ich hoffe, das mit diesem Aufruf ändern zu können. Ich würde mich freuen, wenn sich Betroffene, die so etwas erlebt haben, sich bei mir melden würden.
Nicht-bemerkte Schwangerschaften betreffen Frauen aller Altersklassen und aller Schichten. Wir haben es mit einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen zu tun. In seltenen, schlimmen Fällen enden solche nicht bemerkten/nicht gespürten Schwangerschaften sogar mit dem Tod des Babys, weil die Mutter bei der Geburt in eine Art Schock verfällt und ihr Baby nicht versorgen kann.
Erforscht sind unbemerkte Schwangerschaften über diese Fakten hinaus aber leider kaum. Denn über Mutterschaft - das scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein - darf nur positives verlautet werden. Man darf nicht am Tabu der „guten“ Mutter rütteln, dem Idealbild einer Frau. Und eine Frau, die nicht bemerkt, dass sie ein Baby unter dem Herzen trägt, passt da scheinbar nicht dazu. Wir als Gesellschaft scheinen uns schwer damit zu tun, anzuerkennen, dass die Mutter - so wie jeder Mensch - vielschichtiger ist als ein Idealbild.
Vielleicht ist es auch Ihnen sehr unangenehm aus diesen oder anderen Gründen über eine nicht bemerkte oder verdrängte Schwangerschaft zu sprechen. Vielleicht haben Sie schmerzhaftes hinter sich. Vielleicht haben Sie das Gefühl, dass das schon lange hinter Ihnen liegt, und es vergessen wollen. Und das will ich mit dieser Anfrage auch nicht stören oder beschädigen. Aber vielleicht ist es ja so, dass Sie das Erlebte inzwischen soweit verarbeitet haben, dass Sie darüber sprechen können.
Ich bin überzeugt, eine fundierte journalistische Aufarbeitung könnte dazu beitragen, dass Frauen, die künftig mit ähnlichem zu kämpfen haben, sich besser rüsten können und, dass es diesen Frauen helfen würde zu wissen: ich bin nicht allein damit. Und: Forschungsgelder könnten leichter bewilligt werden, wenn das Thema allgemein bekannter und gesellschaftlich integriert wird.
Das ist das Ziel meiner journalistischen Recherche und der Grund, warum ich Ihnen hier schreibe. Ich hoffe, dass Sie über diesen Aufruf nachdenken, und freue mich darauf, von Ihnen zu hören bzw. zu lesen.
Herzliche Grüße!