Die ganze Situation ist bestimmt sehr schwierig für Dich. Dein Mann lässt Dich nicht nur mit der Kindererziehung allein, sondern verhält sich sogar so, dass Du Euer Kind vor ihm förmlich beschützen musst. In einer solchen Lage geht sicherlich nicht nur eine Menge Vertrauen verloren, sondern man stellt die ganze Beziehung - zu Recht! - in Frage.
Um ehrlich zu sein: Ich wüsste nicht ob ich jemals wieder soviel Vertrauen entwickeln könnte, um ihm mit dem gemeinsamen Kind bedenkenlos allein lassen zu können. Gewalt, besonders gegen Kinder geht gar nicht - völlig egal ob physisch oder psychisch! Kinder nehmen dadurch enorm Schaden und es ist überhaupt nicht absehbar inwieweit das nicht das gesamte restliche Leben beeinflussen wird. Auch wenn Dein Mann jetzt in Therapie ist, auch wenn es merkliche Verbesserungen gibt - Deine Erwähnung, dass er "die Phase in grossen Teilen bedauert" lässt bei mir das Gefühl zurück, dass er immer noch nicht komplett kapiert hat, was er eigentlich angerichtet hat. Eigentlich müsste er sich in Grund und Boden schämen und nun alles dafür tun Euer Vertrauen zurückzugewinnen und sich als wirklichen Partner und Vater beweisen. Hast Du das Gefühl er tut das? Dass er voll hinter Euch als Familie steht?
Beim ersten Lesen kam mir direkt der Gedanke, dass sein Verhalten womöglich daher kommt, dass er als Kind selbst ähnliche Erfahrungen mit mindestens einem Elternteil machen musste und dass seine Überforderung davon herrührt. Natürlich ist das reine Spekulation meinerseits. Selbst wenn das der Wahrheit entspräche und eine Erklärung wäre, so ist das in keinem Fall eine Rechtfertigung. Nicht jeder mit so einer Vergangenheit wird dann ebenfalls übergriffig. Vor allem hätte er, wenn er bemerkt dass seine Überforderung in Aggressivität umschlägt direkt entgegensteuern müssen. Das hat er nicht getan. Im Gegenteil. Du musstest ihn regelrecht dazu zwingen.
Ich persönlich finde nicht, dass man Eure Situation als simple "Krise" abtun kann. Dazu ist zu viel passiert, was vor allem Euer Kind als schwächstes Mitglied der Familie erleben musste. Es ist nachvollziehbar, dass Du für Dich und Euer Kind eine intakte Familie haben möchtest. Aber meiner Meinung nach muss Dein Mann jetzt erst einmal beweisen, dass er in der Lage ist ein Vater für Eure Tochter zu sein. Ein Vater zu dem sie aufschauen kann und keiner vor dem sie Angst haben muss. Und zwar ganz unabhängig davon, was mit Euch als Paar geschieht.
Das ist nochmal ein ganz anderes Thema. Der Mann von dem Du schreibst er wäre vorher immer lieb und ruhig gewesen, hat jetzt eine andere Seite gezeigt. Eine Seite die Du offenbar erst spät kennengelernt hast. Würdest Du denn mit dem heutigen Wissen über ihn die Beziehung zu ihm nochmal so eingehen wollen?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Du im Moment nicht nur ratlos, sondern auch sehr erschöpft bist. Du hast quasi bisher das Kind allein erzogen, damit eine grosse Verantwortung getragen und viel zurückgesteckt. Gearbeitet scheinst Du auch noch zu haben. Dazu kam dann noch die Belastung durch das Verhalten Deines Mannes und die damit verbundene emotionale Ausnahmesituation. Nachdem Dein Mann jetzt in Therapie ist wird im Grunde von Dir erwartet dass Du in dieser beginnenden Genesungsphase Geduld mit ihm hast und Verständnis wenn er mal weniger respektvoll ist. Weil er ist ja in Behandlung und sowas geht nunmal nicht von heute auf morgen. Nebenbei läuft auch noch die Paartherapie damit ihr Euch wieder zusammenrauft und die Ehe bestehen bleibt. Ich frage mich wo in der ganzen Geschichte eigentlich Du bleibst. Deine Bedürfnisse? Deine Ruhe- und Erholungsphasen? Wer kümmert sich um Dich?
Für mich ist überhaupt nicht verwunderlich, dass Du Dich "fremdverliebst" um diesem ganzen Chaos wenigstens ein bisschen zu entkommen. Du hast ja bereits selbst die richtigen Schlüsse gezogen, dass das vielmehr ein Symptom Deiner derzeitigen Lage ist. Eine Art Ventil um der Situation zumindest eine kurze Weile am Tag zu entfliehen. Daher auch nur die Randnotiz. Ich bin mir sicher, dass Du diese Schwärmerei gar nicht weiter vertiefen willst und es daher nicht nötig ist darauf näher einzugehen.
Es ist schwierig Dir in Deiner Lage das Richtige zu raten. Ich würde dazu tendieren, dass Du Dich erstmal erholen kannst um eine Entscheidung zu treffen. Etwas Abstand könnte nicht schaden - vielleicht ein Urlaub nur Du oder Du und die Kleine? Das könnte helfen Deine Gefühlslage zu sortieren und dann zu überlegen, wie es weitergehen soll. Könnten Deine Eltern oder Verwandte Dich vielleicht unterstützten? Wäre das für Dich vorstellbar?