Kennt jemand von Euch das Kinderbuch "Ich bin der kleine Elefant" von Amrei Fechner? Darin wird ein Tag aus dem Leben eines Elefantenbabys beschrieben. Das Buch endet damit, dass der Tag zur Neige geht und das Elefantenbaby müde wird: "Ich bin jetzt müde und will schlafen. Meine Mutter wacht." Auf dem zugehörigen Bild sieht man, wie das Elefantenbaby auf dem Boden liegt und schlummert, während die Mutter über ihm steht und es liebevoll anschaut und mit dem Rüssel streichelt und auf es aufpasst, damit ihm nichts passiert.
Meine Mutter hat mich alleinerziehend aufgezogen und als ich ein Kleinkind war, oft dieses Buch, das ich geliebt habe, als Gutenachtgeschichte mit mir zusammen angeschaut, und wenn ich schläfrig geworden bin, mein Bäuchlein gekrault.
Jedenfalls stellt dieses Buch eine perfekte Analogie dar hinsichtlich meines damaligen kindlichen Lebensgefühls, dass meine Mama da ist und auf mich aufpasst.
Damals hab ich in meinem Kopf die Analogie weitergesponnen, denn in dem Buch gab es auch Bilder von schon etwas älteren, starken Jungelefanten der Herde, und damals hab ich oft gedacht, dass meine Mama irgendwann alt sein wird und dass ich bis dahin quasi ein starker Jungelefant sein werde, und dass dann die Rollen vielleicht getauscht sein werden, dass nämlich dann ich auf meine Mama aufpasse wenn sie müde wird, und ich darüber wache, dass ihr nichts passiert.
Soviel zu meiner damaligen kindlichen Sichtweise.
Inzwischen habe ich mein Studium abgeschlossen, bin erwachsen, seit ein paar Monaten verheiratet und habe immer noch ein gutes Verhältnis zu meiner Mutter. Natürlich ist sie auch älter geworden, ist über 60 Jahre alt, und tut sich in vielem nicht mehr so leicht wie früher. Außerdem hatte sie eine Bandscheibenoperation an der Halswirbelsäule, weil durch Altersverschleiß und frühere nicht bemerkte, sich mit der Zeit aber zusammen mit dem Altersverschleiß zu einer starken Degeneration aufsummierende Beschädigungen die Bandscheibe zwischen dem vierten (C4) und dem fünften (C5) Halswirbel so klein geworden war, dass sie wie ein Drops zwischen den Wirbelkörpern eingebettet lag, aber keinerlei Abstand mehr zwischen den Wirbelkörpern bewirkte.
Die beiden Wirbelkörper drückten also direkt aufeinander. Und dabei klemmten sie diverse Nervenwurzeln ein, die bei der Bandscheibe zwischen den beiden Wirbelkörpern ins Rückenmark übergehen. Zu diesen Nervenwurzeln gehören auch welche, von denen die sogenannten Okzipitalnerven ausgehen, die z.B. Schmerzinformationen vom Hinterkopf ans Gehirn weiterleiten. Folglich hatte meine Mutter auch starke stechende Schmerzen, die sie als in den Hinterkopf ausstrahlend wahrgenommen hat. Schmerzwellen beim kleinsten Nicken oder seitlich mit dem Kopf hin und her Wippen.
Damit die beiden Wirbelkörper nicht immer auf den eingeklemmten Nervenwurzeln "herumdrücken" hat ihr Körper reagiert. Und zwar mit starken Verspannungen der um das C4-C5-Kopfgelenk herumliegenden Nackenmuskulatur. Wenn Nackenmuskulatur ständig angespannt ist, bekommt man Nackenschmerzen. Außerdem wird auch Nackenmuskulatur beim Anspannen/Zusammenziehen dicker. Und solange sie dicker ist, engt sie die Strukturen um sich herum ein.
Zu diesen Strukturen gehören Blutgefäße, die das Gehirn mit Blut versorgen. Da diese Blutgefäße durch die ständig verspannte Nackenmuskulatur ständig eingeengt waren, war meine Mutter oft benommen.
Zu diesen Strukturen gehören auch alle möglichen Nervenfasern. Zum Beispiel wurden die Hörnerven durch die angespannte Nackenmuskulatur eng an andere Nervenfasern gedrückt und die Nervenreiz-Informationen/Aktionspotentiale dieser anderen Nervenfasern wurden auch auf die Hörnerven übertragen, was dann von meiner Mutter als schlafraubender ständiger Tinnitus wahrgenommen wurde. Zum Beispiel wurden Nervenwurzeln mit Nervenfasern, die zu den Fingerspitzen und Unterarmen führen, von der angespannten Nackenmuskulatur und zwischen den Wirbelkörpern eingeklemmt, sodass meine Mutter Kribbeln und Schmerzen in ihren Fingerspitzen und Unterarmen verortet hat.
Durch die um das C4-C5-Kopfgelenk herum bretthart angelegte verkrampfte Nackenmuskulatur war auch die Propriorezeption in den Kopfgelenken stark beeinträchtigt, d.h., das Gehirn bekam bei Kopfbewegungen keine korrekten Informationen mehr über Änderungen des "Biegungszustand" der Kopfgelenke und konnte, zumal die inkorrekten Kopfgelenk-nformationen nicht zu dem passten, was die Gleichgewichtsorgane des Innenohrs dem Gehirn meldeten, nicht mehr korrekt berechnen, in welcher räumlichen Lage der Kopf sich im Verhältnis zum Rumpf befand. In Konsequenz war meiner Mutter fast ständig schwindlig.
Durch die ständig angespannte Nackenmuskulatur hatte meine Mutter außerdem ständig das Gefühl, dass etwas auf ihren Nacken und ihr Hinterhauptloch draufdrücken würde.
Seit sie das Bandscheibenimplantat hat, sind diese Beschwerden erfreulicherweise im Laufe weniger Wochen alle weggegangen.
Klappt leider nicht bei allen so gut.
Hoffentlich bleibt alles so gut. Ist auch nicht bei allen so.
Jedenfalls war das unter anderem eine Phase, in der ich an früher denken musste und das Gefühl hatte, dass jetzt die Zeit angebrochen ist, in der die Rollen vertauscht sind, und in der ich auf meine Mama aufpasse. Aber auch als es ihr schlecht ging, hat sie sich sehr dagegen gesträubt, sich von mir helfen zu lassen und sich bei allem möglichen lieber selbst geschunden, obwohl es mir eindeutig leichter gefallen wäre/ist. Sie hat immer gemeint, es sei nicht meine Aufgabe, sie zu pflegen - meine Aufgabe sei es, mir ein eigenes Leben aufzubauen. In der Phase kurz vor und kurz nach der Operation, als es ihr am schlechtesten ging, hat sie sich aber von mir helfen lassen.
Im großen und ganzen sträubt sie sich aber immer noch sehr dagegen, sich helfen zu lassen bzw. sich einfach mal auszuruhen und mich machen zu lassen. Z.B. wenn sie und mein Stiefvater zum Essen bei uns sind, schafft sie es nicht, nach dem Essen zusammen mit den anderen am Tisch sitzen zu bleiben, sondern sie drängt immer zu denen, die den Abwasch machen und will mithelfen.
Was mich interessiert, ist, wie ihr mit diesem Rollenwechsel umgeht, wenn die Eltern älter werden und die einstigen Kinder sich um die Eltern kümmern.
Mit freundlichem Gruß
SkyCaptain