Die Jugend liebt heutzutage den Luxus.
Sie hat schlechte Manieren,
verachtet die Autorität,
hat keinen Respekt vor den älteren Leuten
und schwatzt, wo sie arbeiten sollte.
Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten.
Sie widersprechen ihren Eltern,
schwadronieren in der Gesellschaft,
verschlingen bei Tisch die Süßspeisen,
legen die Beine übereinander und
tyrannisieren ihre Lehrer.
(Sokrates über die Jugend. Sokrates lebte von etwa 469 v. Chr. bis 399 v. Chr.)
Es scheint also nicht erst jetzt so zu sein, dass ältere Generationen meinen, jüngere Generationen würden es in irgendwelchen Hinsichten ärger treiben.
Verhalten richtet sich auch danach, was gesellschaftlich akzeptiert ist.
Viele gehen offen nur so weit, wie es der Rahmen der gesellschaftlichen Akzeptanz erlaubt.
Der Rest wird ggfs nicht offen gemacht.
Das war schon immer so.
Dabei spielt aber eine Rolle, ob eine Gesellschaft überhaupt noch einen einheitlichen "Akzeptanzrahmen" hat bzw wie sehr ein gesellschaftlicher Akzeptanzrahmen, mit dem man konfrontiert ist, in welchen Daseinsbereichen überhaupt als ein Zwang des Faktischen wahrgenommen wird, den man in sein Verhalten miteinrechnen muss.
Unsere Gesellschaft ist noch viel mehr als früher ein Flickenteppich aus Parallelgesellschaften und räumlich zusammenlebenden aber sich mental voneinander abgrenzenden Kulturarealen und Sub-Kulturen und sonstigen Grüppchen, von denen viele – Anfang der 90er Jahre war Internet noch nicht in der Weise verbreitet wie heutzutage – virtuell via Internet bestehen.
Manche davon sind mächtig und einflussreich und dominieren auf irgendwelchen Lebensebenen zB das politische Geschehen. Andere sind eher auf sich selbst beschränkt.
Es ist heutzutage leichter als früher, sich ein Grüppchen zu suchen, welches einen ähnlichen "Interessen- und Akzeptanzrahmen" hat wie man selbst. Dadurch wiederum ist es heutzutage leichter als früher, eine Mentalität/ein Bewusstsein zu pflegen, demzufolge "gesellschaftliche Akzeptanzrahmen" anderer nicht mächtiger Grüppchen zugunsten persönlicher Interessen sprengbar sind bzw nicht mehr so stark als existenzielle Zwänge des Faktischen empfunden werden. (Was kümmert es mich wenn der Strickverein der alten Damen über meinen Lebenswandel lästert? Aber wenn die Interessenvereinigung der Zeitschriftenmogulinnen und -mogule in den Medien eine Hetzkampagne gegen mich startet und bei der Mafia ein Kopfgeld für mich aussetzt, sieht es schon anders aus.)
Viele Menschen nehmen die Gesellschaft inzwischen wahr als etwas Uneinheitliches/Inhomogenes und Unberechenbares, das sich ständig radikal wandelt.
Anstelle des Bewusstseins eines einheitlichen Akzeptanzrahmens einer einheitlichen Gesellschaft tritt bei vielen das Bewusstsein, dass in der Gesellschaft bzw in dem inhomogenen System aus Parallelgesellschaften und Sub-Kulturen eben keine konstante Einigkeit über Richtig und Falsch besteht, und dass man von daher oft getrost in der eingeschlagenen Richtung immer weiter gehen kann, weil es, egal in welche Richtung man weitegeht, zwar immer welche gibt, denen es nicht recht ist, die aber auch nur eins von vielen Grüppchen sind.
Die Frage, wie weit Menschen gehen, steht in Zusamenhang mit der Frage, welche Möglichkeiten sie überhaupt haben, weit zu gehen. Was wiederum auf die Frage hinausläuft, wem die Gesellschaft welche Freiheiten einräumt.
Gibt es in einem Bereich mehr Freiheiten für die Menschen, gehen sie in diesem Bereich auch weiter.
Was wiederum irgendwann dazu führt, dass andere meinen, die Freiheit in diesem Bereich nehme überhand.
Wenn Macht ud Einfluss derjenigen, die das meinen, sich vergrössert, schränken sie die Freiheit in diesem Bereich ein.
Was wiederum irgendwann dazu führt, dass andere meinen, die Freiheit in diesem Bereich sei zu klein.
Wenn Macht ud Einfluss derjenigen, die das meinen, sich vergrössert, vergrößen sie die Freiheit in diesem Bereich.
Dann gehen die Menschen in diesem Bereich weiter.
Was wiederum irgendwann dazu führt, dass andere meinen, die Freiheit in diesem Bereich nehme überhand.
... und so weiter.
Ein netter Regelkreis, sofern die Methoden zur Freiheitseinschränkung/Freiheitsausweitung nicht radikaler und radikaler werden. Was in unserer Welt aber der Fall sein könnte.
Wenn man gerade irgendwelche Freiheiten hat, heisst das nicht, dass das immer so bleibt. Deshalb muss man Freiheiten nutzen (nicht in einer zum Schaden gereichenden der Hemmungslosigkeit fröhnenden Weise mißbrauchen!), solange man sie hat. Und schützen.
Wenn Menschen heutzutage in irgendwelchen Daseinsbereichen weiter gehen als früher, dann zu einem Gutteil deswegen, weil sich ihnen aufgrund des derzeitigen Gesellschaftsgefüges derzeit ein in diesen Daseinsbereichen etwas weitläufigeres "gesellschaftliches Straßennetz" auftut.
(Dass ihnen in diesem weitläufigen "gesellschaftlichen Straßennetz" viele einzuschlagende Richtungen offenstehen, trifft dabei aber beileibe nicht auf alle zu. Nicht jeder Weg ist für jeden offen.)
Der Umstand, dass unsere Gesellschaft inhomogen ist und keinen einheitlichen "Akzeptanzrahmen" bietet, bringt außerdem mit sich, dass es vielen Menschen schwerer fällt, Sozialkompetenz zu entwickeln - die "Unschärfe des gesellschaftlichen Akzeptanzrahmens" erschwert während des Entwicklungsprozesses die Orientierung.
Auch das wirkt sich auf die Bewusstseinslage der Menschen aus und damit auch darauf, wie weit sie anbetrachts ihrer Bewusstseinslage in welchen Dingen gehen.
Ich habe den Eindruck, dass es in vielen Daseinsbereichen - auch aufgrund mangelnder Sozialkompetenz - stärkere Tendenzen als früher gibt, die Weitläufigkeit des "gesellschaftlichen Straßennetzes" zu reduzieren, bzw, dass heutzutage viele Leute darin, anderen deren Meinungen verbieten zu wollen, andere unterdrücken zu wollen, anderen ihre Meinungen überstülpen und aufzwingen und sie einengen zu wollen, viel weiter gehen als zB in den 90er Jahren, und dabei oft um einiges subtiler und perfider sind als man es in den 90er Jahren war.
In den 90er Jahren waren zB im ganz normalen Fernsehen im Rahmen der Freiheit bei der Meinungsäußerung Dinge möglich, die heute, in unserer Zeit des Zwanges zu Toleranz, Political Correctness, Wokenes, Geschlechtsneutralität und Genderfreiheit etc etc nicht mehr drin wären. Viele wagen sich nicht mehr, offen so weit zu gehen wie in den 90er Jahren, da ja schon ein kritischer Kommentar auf Twitter oder Facebook oder zB der Anschein des Vorwurfs sexuellen Fehlverhaltens den Job kosten könnte.
Es soll Zeiten gegeben haben, in denen zB ein im Vorschulalter befindliches Kleinkind zusammen mit seinem Vater unschuldig in der Badewanne planschen konnte. Einem heutigen jungen Vater wäre ein solches unschuldiges Unterfangen zu riskant, denn wenn die Kindergärtnerin das erfahren würde, hätte er unter Umständen sofort die Leute von Wildwasser und eine Rufmordkampagne am Hals und könnte jahrelang in Untersuchungshaft landen ohne dass ordentlich ermittelt wird.
Man kann also bestimt nicht pauschal sagen, dass alle jungen Menschen heutzutage weiter gingen als frühere junge Menschen.
Viele gehen darin, anderen ihre Meinungen/Anschauungen/Weltbilder aufzuzwingen, sehr viel weiter als das früher der Fall war.
Das wiederum führt dazu, dass andere in Bereichen nicht so weit gehen wie sie es in diesen Bereichen vielleicht getan hätten wenn sie in den 90er Jahren jung gewesen wären, und von den Freiheiten, die sich manche früher rausgenommen haben, nur träumen können.
Mag sein, dass ich in manchen Daseinsbereichen, zB im Bereich der Sexualität, etwas weiter gehe als viele andere.
Ich achte aber darauf, das auf eine Weise zu tun, die niemandem den Seelenfrieden raubt.
Ich würde niemandem, der für sich die Dinge anders sieht, meine Lebensweise aufzwingen.
Ich achte darauf, dass die entsprechenden Wechselwirkungen nur mit Leuten stattfinden, die gut damit klarkommen und auch Spaß daran haben, und dabei niemanden hintergehen.