Damals, mit 17 Jahren, ich war gefühlt ein Spätzünder, hatte ich beim ersten Frauenarztbesuch mit Beginn der ersten Verhütung keine Wahl. Die Pille war einfach alternativlos. In diesem Alter hat man das nicht hinterfragt. Ich war auf dem Weg zu meinem ersten Mal und wollte einfach nur verhüten. So viel Verantwortung hatte ich, dass ich mich darum akribisch gekümmert habe.
So nahm ich also die Pille, Tag für Tag, Jahr für Jahr, 11 Jahre am Stück, ohne einmal abzusetzen. Lediglich die eine Woche Pillenpause jeden Monat habe ich meinem Körper gegönnt. Die Menstruation sollte man ja schließlich trotzdem haben. Im Nachhinein ein absoluter Witz im Gegensatz zu dem, was der Körper tut, wenn man ihn keinem Hormoneinfluss aussetzt.
Darin finden sich sicher viele wieder, dennoch möchte ich meine Erfahrungen teilen, weil ich noch heute daran zu knabbern habe. Was war passiert?
In den Jahren unter Pilleneinfluss, um genau zu sein, zwischen meinem 17. und 28. Lebensjahr, habe ich verschiedene Dinge getan. Habe eine Ausbildung gemacht, studiert, den Mann, mit dem ich seit meinem 18. Lebensjahr zusammen bin, geheiratet. Groß, rote Haare – dafür hatte ich schon immer eine Schwäche – Handwerker, bodenständig. Ich hatte schon einige Zeit darüber nachgedacht, auf eine hormonfreie Verhütungsmethode umzusteigen, konnte mich aber nie dazu durchringen.
Bis mich eines Nachts dieser erschreckende Traum heimgesucht hat. Ich träumte, dass ich meinen Mann dabei beobachtete, wie er mir fremdging. Der Traum hat mich nicht mehr losgelassen. Ich fing an zu recherchieren und fand heraus, dass der Inhalt dieses Traums ein Ausdruck des Wunsches zur persönlichen und vor allem sexuellen Entfaltung ist. Jede Frau wird mir zustimmen, wenn ich schreibe, dass die Pille die Libido einschränkt, wenn nicht sogar gefühlt komplett lahmlegt. Also wusste ich, dass es jetzt endlich an der Zeit war, die Pille loszuwerden und umzusteigen. Bei der nächsten Gelegenheit erhielt ich, im Mai 2020 die Kupferspirale – eine Entscheidung, die ich bis heute keinesfalls bereue, ich bin mir selbst noch immer dankbar, dass ich diesen Schritt gegangen bin. Zeit verging, der Körper merkte langsam, dass etwas anders war – nach 11 Jahren des permanenten Pilleneinflusses.
Richtig zugeschlagen hat das Ganze ein komplettes Jahr später, im Mai 2021. In unserem Familienbetrieb wurde meine Hilfe verlangt. Der Tag, an dem nicht nur die Familie vor Ort ist, sondern auch ein Dienstleister – wie jedes Jahr. Der Mitarbeiter dieses Dienstleisters, nennen wir ihn Max, war bereits mehrere Jahre zuvor auch jedes Jahr aufs Neue an diesem Tag dabei. Er ist mir nie aufgefallen, bis zu diesem Tag – groß, rothaarig, gleiches Alter, gutaussehend. Ich fragte mich, wieso mir dieser hübsche Mensch noch nie aufgefallen war. Meine Mutter versicherte mir, dass ich ihn doch kennen müsste, er sei doch schon die letzten Jahre immer dabei gewesen.
In diesem Moment wurde mir bewusst, was die Pille mit mir angerichtet hatte. Plötzlich fühlte ich Emotionen, die mir bisher immer verborgen blieben. Mein emotionales Inneres geriet für Monate außer Kontrolle.
So fühlt sich das also an, wenn man von einem anderen Mann umgehauen wird, weil er mir so gut gefällt. So fühlt es sich also an, wenn ein anderer Mann mit dir flirtet und dich interessiert beobachtet. So fühlt es sich also an, wenn man einen normalen Menstruationszyklus hat und wenn man vor allem den Eisprung spürt. Bis zu diesem Moment hatte ich das noch nie erlebt, es war völlig neu und ich war überfordert. Die vergangenen 11 Jahre hatte ich mich wie in Watte gepackt gefühlt, ohne Emotionen.
Ich fing an, mein komplettes Leben zu hinterfragen. Hätte ich meinen Mann geheiratet, wenn ich keine Pille genommen hätte? Hätte ich vielleicht einen anderen geheiratet? Hätten Max und ich uns früher gekannt, wäre zwischen uns vielleicht was entstanden? Hätte ich meine Ausbildung und das Studium genau so durchgezogen? Selbst an meiner Hochzeit habe ich dem Pilleneinfluss unterlegen, wäre auch das anders gelaufen? Ich habe einfach alles hinterfragt. Bis heute, sogar jetzt in diesem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, hinterfrage ich so einiges. Bin unsicher, ob meine Entscheidungen die richtigen sind.
Max hat seit diesem Zeitpunkt einen speziellen Stellenwert in meinem Leben. Er ist meine Muse – treffe ich ihn, geht es mir gut, ich freue mich und fühle mich wohl. Wir sehen uns selten, sind nicht befreundet. Wir verstehen uns aber gut, ich finde ihn interessant. Er ist meine Altersklasse, single, also zu haben. Ist es abstrus, dass ich oft davon träume, Zeit mit ihm zu verbringen und ihn zu küssen? Ist gedankliches Fremdgehen schädlich für eine Ehe? Ich habe oft das Verlangen, es herauszufordern und mich ihm zu nähern. Mein Verstand hält mich aber ab und außerdem sind wir nie alleine.
Ich bin jetzt 30 Jahre alt. Viele denken in diesem Alter über Kinder nach, oder haben schon welche. Für mich ist dieses Thema noch in sehr weiter Ferne. Gefühlt, weil ich erst so spät zu mir selbst gefunden habe. Würde mich aktuell jemand fragen, bräuchte ich keine Kinder. Ich konnte einfach noch keinen Gefallen daran finden. Es fühlt sich an, als hätte ich so vieles verpasst oder besser gesagt die Jugend nicht richtig ausgekostet. Seit dem 18. Lebensjahr in einer Beziehung mit demselben Mann und jetzt finde ich heraus, wie es ist, zu flirten, zu schwärmen, die Attraktivität eines anderen Mannes entdeckt zu haben.
Ich bin glücklich verheiratet, mein Mann und ich, wir verstehen uns ohne Worte, sind seelenverwandt.
Ich bin trotzdem unsicher, in welche Richtung das alles gehen soll. Bald steht ein Jobwechsel an, eröffnet weitere Bedenkzeit um das Thema Kinder. Würde mein Mann mich verlassen, wenn ich wirklich final keine Kinder möchte, da er unbedingt will? Wann weiß ich wirklich, dass ich keine Kinder möchte? Ändert sich das vielleicht noch?
Fragen über Fragen.
Und das Chaos geht weiter!