Grundsätzlich muss man bei Callcentern zwischen Inbound und Outbound unterscheiden. In einem Outbound-Callcenter rufst du selbst aktiv Leute an, meist um irgendwas zu verkaufen (z.B. Stromverträge usw). In einem Inbound-Callcenter wird man eher angerufen (z.B. im technischen Support, Bestellannahme usw). Die meisten Callcenteragenten empfinden den Inbound-Bereich als angenehmer.
Ich habe selbst 2 Jahre im Support eines Herstellers von Leergutautomaten gearbeitet, d.h die Leute,die bei uns anriefen, waren die Kunden dieses Herstellers. Und da Leergutautomaten üblicherweise in Supermärkten/Discountern stehen, waren die Anrufer üblicherweise Marktleiter oder Verkäufer. Offiziell war es unsere Aufgabe im 1st-Level-Support einfache Störungen direkt am Telefon mit den Kunden zu beheben. Etwa wenn sich mal wieder eine Lichtschranke verstellt hatte, diese wieder instandzusetzen, Automaten mal neu zu starten, zu kontrollieren, ob die Flaschen korrekt erkannt wurden, neue freizuschaltende Getränke in die Datenbank einzutragen usw. Schwierigere Fälle gaben wir an den 2nd-Level-Support ab oder bei technischen Defekten schickten wir auch Techniker raus. Klingt ganz entspannt, is es aber nicht.
Jeder Markt hatte einen Supportvertrag, der die Klausel enthielt, dass die Automaten werktäglich und bei Problemen vor dem Anruf bei uns zu reinigen sind. Klingt merkwürdig, ist aber dem Umstand zuzuschreiben, dass 70% aller Probleme auf Verschmutzungen des Automaten zurückzuführen waren und schon durch die Reinigung selbst gelöst werden können. Klebrige Getränke, optische Komponenten und bewegliche Teile sind nunmal eine bescheidene Kombination. Nur sind Supermärkte/Discounter personalmäßig oft knapp dran, so dass die täglich vorgeschriebene Reinigung gerne mal "vergessen" wurde. Entsprechend mies war die Laune der Anrufer, wenn man ihnen mal wieder vorbeten musste, dass sie die Reinigung vor Ort schon selbst vornehmen müssen und wir das aus der Ferne nicht können. Da kamen dann schonmal Sprüche wie "Arschlöcher!", "Nazi!" oder "Euch sollte man alle aufhängen!" von den Anrufern. Man glaubt gar nicht, wie belastend sowas auf Dauer sein kann. Die meisten Kollegen da im Callcenter haben psychisch gesehen eine gewisse Form von Veränderung durchgemacht:entweder man wird total abgebrüht oder man zerbricht an dem Job.
Weitaus schlimmer als die Anrufer waren aber die Zustände im Callcenter selbst. Der Hersteller baute immer gerade die Teile ein, die er gerade günstig einkaufen konnte,d.h. im Laufe der Jahre gab es jedes Automatenmodell in unterschiedlichsten Konfigurationen...mal waren dieses Sensorenmodell verbaut, mal jenes, mal Kameramodell X, mal Modell Y usw. Und da so ein Automat auch ein Betriebssystem hat, kam es unweigerlich dazu, dass die Software eigentlich immer mehr schlecht als recht lief, da sie halt optimalerweise jede erdenkliche Kombination vom Einzelteilen unterstützen musste.. Sprich: es wurde eigentlich von den Softwareentwicklern ständig dran rumgebastelt und nicht selten wurde ein Problem durch ein anderes ersetzt. Fast jede Nacht wurde automatisiert neue Software auf die Kundengeräte aufgespielt, wodurch sich auch die Fehler ständig änderten. Der gleiche Fehler, der heute noch Ursache A hat, konnte morgen schon eine komplett andere Ursache haben.
Dumm nur,dass wir kleinen Callcenteragenten aus dem 1st-Level-Support davon nie was erfuhren, sondern immer nur die Leute aus dem 2nd-Level-Support. Sprich man machte ständig Fehler und bekam als "Dank" auch noch ständig was vom 2nd-Level-Support drübergebraten, weil man die "tagesaktuelle Lösung" für das Problem nicht kannte. Täglich 4-5x einen Anschiss zu kriegen, war der Normalfall. Wenn wir unsererseits sagten, dass es vielleicht sinnvoll wäre, wenn wir auch mal erfahren würde, was denn zuletzt verändert wurde, um sich auf die aktuellen Gegebenheiten anzupassen, dann hieß es nur "Das geht euch nichts an!". Na ganz toll :-(.
Unterstützung der Callcenterleitung ? Null. Die Chefin des Callcenters predigte zwar ständig, dass wir alle eine große Familie seien, aber davon war nur was zu merken, solange alles glatt lief. Gabs hingegen Probleme, wurde der einzelne Mitarbeiter vors Loch geschoben. Total am Rad drehte die Dame, als die Firma (d.h. der Maschinenhersteller) von einem amerikanischen Unternehmen übernommen wurde. Die Amis suchte natürlich sofort nach Möglichkeiten für Einsparungen und bauten daher 2 neue Callcenter in Polen. Jeder, der in der Schule nicht nur singen und klatschen hatte, kann sich denken, was das für die beiden deutschen Callcenter bedeutet, wenn im billigeren Ausland gebaut wird=>Jobverlagerung dorthin. Es wurden sogar Leute von uns dorthin geschickt, um die Polen auszubilden. Dieser Eindruck wurde bestätigt, als ein Rundschreiben der Rundschreiben der Amis eintrag, dass man plane, eine "Restrukturierung des Servicebereichs" der Firma vorzunehmen, was mit Arbeitsplatzabbau einhergehen wird.
Nun, unsere Callcenterchefin versuchte das uns gegenüber abzuwiegeln und glaubte allen Ernstes, die Verlagerung nach Polen abwenden zu können, wenn sie den Amis beweist, wie wichtig wir doch sind. Also ließ sie sich alle 2-3 Wochen eine neue Sache einfallen, die wir auch noch "nebenbei" mit machen sollen. Hier ´ne zusätzliche Statistik, da eine neue Auswertung...natürlich machte die die nicht selbst, sondern die sollten wir neben der eigentlichen Arbeit auch noch machen. Sogar eine Mindestanrufdauer pro Kollege hat sie eingeführt: 400min sollten wir pro Tag telefonieren. In einem Inbound-Callcenter mit einem begrenzten Kundenkreis ist das vollkommen irrsinnig. Eine Kollegin hats mal ausgerechnet: damit alle 32 Kollegen pro Tag 400min Telefonzeit haben, müsste man mit jedem einzelnen Kunden der Firma 3min pro Tag telefonieren. Auch mit denen,wo gar nix kaputt ist. Wie soll das gehen ?
Irgendwann kam dann der Punkt, wo der Knoten geplatzt ist und 3 langjährige Kollegen auf einmal kündigten. Ab da ging es Schlag auf Schlag, alle 2-3 Wochen kündigte jemand, innerhalb von 10 Monaten sank die Mitarbeiterzahl von 32 Leuten auf 8 (!). Auch meine Kündigung lag in diesem Zeitraum. Besonders "nett" war es, dass fast jeder Kollege so eine Art "Abschiedsbrief" an den Mailverteiler schickte, wo er/sie sich den angestauten Frust von der Seele schrieb. Und meist lautete das Resumé: Wenn es besser werden soll, muss die Callcenterleitung ausgetauscht werden. War schon interessant zu sehen....immer wenn es hieß, dass jemand gekündigt hat und eine Abschiedsmail geschrieben hat, sah es beim Blick über die Schreibtische aus wie bei einem Wackeldackel-Treffen...überall nickten die Köpfe, weil es jeder auch so empfand.
Für mich persönlich hatten die Zustände in dieser Firma die Auswirkungen, dass meine Psyche schwer unter diesem Job gelitten hat. Ich bin irgendwann nur noch äußerst ungern zur Arbeit gegangen und habe bei jedem Anrufer gehofft,dass er irgendein Problem hat, das ausnahmsweise mal einfach zu lösen ist. Ich war irgendwann so fertig, dass ich kurz vorm Suizid stand.
Irgendwann hatte ich dann die Möglichkeit, kurzfristig bei einer Psychiaterin vorzusprechen, die mich sofort aus dem Verkehr zog,d.h. mehrere Monate krankschrieb. In dieser Krankheitsphase merkte ich, wie es mir langsam wieder besser ging und wie mich schon eine einfache Mail, in der ich mitteilte, dass ich weiter krankgeschrieben bin, belastete. Ich habe die freie Zeit dann genutzt und mir einen neuen Job zu suchen.
Diese Firma gibt immer noch und ich habe auch noch immer Kontakt zu 2-3 Kollegen, die noch dort arbeiten. Die Zustände sind wohl seit meinem Ausscheiden vor 3,5 Jahren noch schlimmer geworden. Aber lange gibts die Firma wohl nicht mehr, da ein Hauptkunden der Firma inzwischen monatlich 30-40 Automaten rausschmeißt und durch Geräte der Konkurrenz ersetzt. Und ein anderer Hauptkunde hat beschlossen, bis 2024 gleiches zu tun alle 4000 Automaten gegen die der Konkurrenz auszutauschen.
Auch beim 2.Geschäftsfeld der Firma (der Herstellung von Geldautomaten) scheint es nicht besser zu laufen. In jeder Bankfiliale, in der ich in den letzten Jahren war und in der bisher ein Geldautomat dieser Firma stand, wurden diese inzwischen durch Geräte der Konkurrenz ersetzt.