Hallo - entschuldigt bitte, dass ich hier so lang schreibe.
Es ist etwas, das mich sehr beschäftigt und eine neue Situation für mich ist. Ich gebe einer Oberstufenschülerin Nachhilfe und gestern war die erste Klausur, die wohl schlecht gelaufen ist. Darum brauche ich mal pädagogische Hilfe und Strategieideen für die Nachhilfe und für eine richtige Lernstrategie. Ich brauche jetzt Ideen, was ich am besten mit ihr machen kann, wie ich das angehen kann, dass sie Freude an der Sprache und an den Themen findet und das sie gerne und gut englischen Aufsätze schreibt. Eine Klausur gibt es in diesem Schulhalbjahr noch. Die MUSS gut werden.
Die Tochter einer guten Freundin ist schlecht in Englisch - sie hat 3 Punkte auf dem Zeugnis, die letzte Klausur war 4 Punkte und mündlich beteiligt sie sich nie, weil sie Angst hat zu sprechen. Sie geht in die Gymnasiale Oberstufe (G8), soll nächstes Jahr Abitur machen und schafft es nicht, sich konzentriert hinzusetzen und Aufgaben zu lösen, und lässt die Online-Präsenzstunde an sich immer vorbeiziehen, in der Hoffnung nicht dranzukommen. Und sagt immer, ihre Lehrerin wäre so unfair und so streng.
Ich habe das Gefühl, dass sie nicht gut alleine lernen kann und jemanden braucht, der sie an die Hand nimmt. Obwohl gerade 17 geworden, ist sie noch sehr kindlich, sehr unselbständig, fleissig ohne mitzudenken und hat eine geringe Frustrationstoleranz und keinen richtigen Ehrgeiz (so meine kleine Persönlichkeitsanalyse - ich kenne sie ja aber nun auch schon seit 17 Jahren...).
Seit drei Wochen gebe ich ihr nun Nachhilfe, die darin besteht, zusammen ihre Hausaufgaben zu machen, Texte zu lesen, zu sprechen (sie hatte grosse Angst zu sprechen, das hat sie jetzt etwas überwunden...) und sie auf das behandelte Thema (etwas geschichtliches) auf Englisch vorzubereiten, damit sie dieses Thema auch diskutieren kann.
Nun schreibt sie ihre Klausuren anscheinend immer sehr unkonzentriert und beruft sich dann auf Prüfungspanik (ich denke, sie hat Panik, weil sie das alles nicht kann). Die vorletzte Klausur war am Thema vorbei und die aktuelle Klausur (gestern) ist sie schon etwas besser angegangen, aber ist nun davon überzeugt, dass sie einen Teil der Aufgabenstellung gar nicht gelesen und somit am Thema vorbei geschrieben hat. Klausurgegenstand waren ein Summary and ein Comment.
Ich hatte also ein heulendes und in Panik schluchzendes Mädchen am Telefon, die nie wieder Englisch machen möchte und mit der Welt vollkommen fertig war.
Da ich keine Lehrerin bin und wenig mit Schule zu tun habe, weiss ich nicht, wie gut Schüler sein müssen. Das geschichtliche Wissen ist, wie ich finde, oberflächlich. Für das Schreiben der Aufsätze (Comment, Discussion, Textanalyse etc.) bekommen sie viel vorgegeben, das die Schüler einfach nur noch einmal durchlesen und ein bisschen üben müssen. Eigentlich gar nicht so schwer, wie ich finde. Jedoch verstehe ich es, dass es jemandem in einer Fremdsprache schwer fällt - sie hat ja noch nie im Ausland gelebt und musste noch nie sich auf Englisch durchschlagen. Da ist Diskutieren und Aufsatzschreiben ja noch mal eine Extraherausforderung.
Was ich mit dem Mädchen nun in den letzten drei Wochen gemacht habe, war:
- Sprechen üben, damit die Komplexe wg. Aussprache weggehen und sie nicht mehr von vornherein sagt, dass sie das alles gar nicht kann und Englisch so unmöglich ist und die Lehrerin viel zu streng (hat sogar geklappt, nach zwei Wochen konnte sie drauflos plappern und hat sich nicht mehr über ihre fiese Lehrerin beschwert)
- Fachwissen zum Thema (Sklaverei in USA) auf Englisch und sicherheitshalber auch auf Deutsch besprechen, damit sie ein Fachwissen hat, mit dem sie einfach jonglieren kann und sie Sicherheit bekommt und sich nicht in oberflächliche Allgemeinpositionen wie "Sklaverei ist schlecht." verliert und ihre Standpunkte begründen kann. Das hat auch gut geklappt, wir hatten gute Gespräche und das Thema schien für sie auch interessant zu sein.
- wir haben die Formulierungsvorgaben durch gesehen, die von der Lehrerin vorgegeben wurden, und Beispielsätze gebildet
- ich habe ihr Strategien vermittelt, wie sie sich selber beruhigen kann, während der Klausur (wie sie am besten Notizen macht; was sie als erstes macht, wenn sie die Fragestellung liest; was in Einleitung und Schluss gehört, dass ein Schluss immer wichtig ist und immer hingeschrieben werden muss etc.) Das hat sie anscheinend gestern auch angewandt ... jedoch hat sie die Aufgabenstellung überlesen oder nicht gelesen und einfach ein selbstausgedachtes Thema besprochen.
Mein Eindruck übrigens ist, dass sie gar viel nicht kann, dass sie zwar fleissig ist, aber nicht mitdenkt und sie Aufsatzschreiben gar nicht kann und keine Freude hat, über Themen zu sprechen und zu diskutieren. Das möchte ich gerne ändern, denn sie tut mir sehr leid und ich finde, Bildung kann auch Spass machen und dass es toll ist, wenn man etwas weiss. Das möchte ich ihr gerne vermitteln.
Ich habe ihr nun angeboten, dass wir nun einfach weiter machen und aus den Fehlern der Klausur gestern eine Lehre ziehen und jetzt Klausurschreiben üben:
Ich stelle mir vor, dass wir nun folgendes machen - quasi Prüfungsbedingungen jede Wochen einen Aufsatz unter Zeitdruck schreiben. Da alles über Zoom stattfindet muss (ich wohne nicht in der selben Stadt), denke ich, dass sie nun jeden Freitag 18:00-18:45 eine Aufsatzaufgabe live vor der Kamera alleine lösen soll. Ich schaue ihr dabei zu, helfe aber nicht und sie kann dann auch nicht schummeln, weil ich sie im Video überwachen kann. Also eine Prüfungssituation wird regelmässig nachgespielt. Das Ergebnis soll sie mir dann kurz auf Englisch vortragen, frei zusammengefasst, quasi ein kleines Referat.
Wenn wir das nun wirklich wöchentlich so machen, muss das dann doch für die nächste Klausur reichen, und sie hat dann eine gewisse Routine sowohl für das Thema (Fachwissen), als auch für Schreiben und frei auf Englisch sprechen. So meine Idee.
Zusätzlich werden wir dann zusammen die Hausaufgaben machen, damit sie weiterhin gut am Ball bleibt - also noch eine oder zwei Stunden am Samstag (sonntags muss sie immer die Englischhausaufgaben abschicken).
Habt Ihr andere Ideen, was man mit ihr machen kann? Oder ist das zuviel für eine Schülerin?
Ich mein, wenn sie mal an die Uni gehen wollte, sehe ich bei ihrer jetzigen Leistung und Leistungsfähigkeit echt schwarz. Ich wüsste nicht, wie sie studieren könnte, bei dem was sie jetzt kann und bei ihrer aktuellen Unfähigkeit, sich selber zu strukturieren.