Ich hatte schon mehrere Vorstellungsgespräche, die mir nur zu gut in Erinnerung geblieben sind. Ich bin IT'ler, genauergesagt Fachinformatiker für Systemintegration. Also im Grunde das, was man landläufig als "Systemadministrator" aus Firmen kennt. Nun, ich hatte da schon mehrere Vorstellungsgespräche, wo ich im Nachhinein noch heute mit dem Kopf schütteln muss:
Firma 1, ein Softwarehaus, welches einen Supporter für deren selbstentwickelte Software für Arztpraxen suchte. Sprich: einer,der die Software vor Ort installieren und später auch remote warten sollte. Da wurde ich vom Chef erstmal angemault, wie ich es wagen könnte, mich dort als Supporter zu bewerben, wenn ich doch deren Software gar nicht kennen würde. Ähm...sorry, bei selbstentwickelter und exklusiv vertriebener Software KANN kein Außenstehender das Programm schon kennen. Wie sollte das auch gehen ?
Firma 2, eine Behörde, die dem Bundesverkehrsministerium unterstellt war. Da hatte ich mich als Supporter für die In-house-IT beworben,d.h. ich war für die IT innerhalb der Behörde zuständig, hatte mit dem Aufgabengebiet der Behörde selbst nichts zu tun (zum Vergleich: ein Admin im Finanzamt muss ja auch keine Ahnung von Steuererklärungen haben...). Kein Grund für das Verhörkomittee (ganze 8 Leute (!)), mir nicht Fragen zu stellen, die nichts mit meinem Aufgabengebiet zu tun hatten. Etwa wie ich an Stelle des Personalchefs reagieren würde,wenn sich meine Untergebenen zoffen. Warum sollte ich, der ich auf unterster Hiercharchie stehe, mir darüber je Gedanken gemacht haben ? Oder welche Programme ein Softwarentwickler zum Finden von Fehlern nutzt (ähm...ich bin kein Softwareentwickler!). Oder welche Sachen bei der Planung von Schiffahrtsstrecken zu beachten sind (Planung von Schleusendurchfahrten usw). Was soll der Blödsinn,wenn man einen Supporter sucht ?
Firma 3, eine Stadtverwaltung. Dort sollte ich mir in 30sek (!) ein komplettes Konzept für die Digitalisierung der Schulen aus den Fingern saugen. Das ist natürlich vollkommen blödsinnig, sowas zu erwarten. Der "Verhörführer" war auch ein absolut unsympathischer Mensch, direkt von der 1.Sekunde an. Als ich wieder rauskam, saßen die beiden Typen, die vorher zum Vorstellungsgespräch waren, noch draußen und sprachen über das gleiche Thema. Offenbar wurde denen die gleiche Aufgabe gestellt. 2-3 Wochen später habe ich beim Aussortieren alter Zeitungen zufällig ein Interview in der Tageszeitung gefunden, wo genau dieser "Verhörführer" herumtönte, dass man noch keine Ahnung habe, wie das dann mal mit der "Digitalisierung der Schulen" aussehen solle. Da wurde mir schlagartig klar, dass die offenbar die Bewerber als kostenlosen "Think Tank" benutzt haben. Ob die Stelle jemals tatsächlich zu vergeben war, war dann auch plötzlich fraglich.
Firma 4, ein Maßnahmeträger der Sinnlosindustrie (Veranstalter von Fortbildungen für Erwerbslose). Da saßen mir eine Personalerin und einer von der Fachabteilung gegenüber und beide machten von Anfang an den Eindruck, als suchten sie nur einen Grund, sämtliche Bewerber ablehnen zu können. Die Personalerin krallte sich an meinem Lebenslauf fest und wollte beispielsweise zu jedem meiner bisherigen Arbeitnehmer wissen, warum ich da gekündigt habe oder gekündigt wurde. Sogar von Stellen vor über 25 Jahren. Und bei jedem davon machte es den Eindruck, als würde sie mir die Schuld in die Schuhe schieben, weil ich beispielsweise gefeuert wurde, als uns das Firmengebäude überm Kopf abgefackelt ist oder die Firma pleite ging. Auch der Typ aus der Fachabteilung suchte eher einen Grund, jeden Bewerber abzulehnen, indem er Fragen stellte, die nichts mit Fachwissen, sondern nur einem guten Gedächtnis zu tun hatten. Etwa die wievielte Funktion von unten die "Ausschneiden"-Funktion im Kontextmenü von Excel steht. Warum zum Geier sollte das je jemand gezählt haben ? Oder wie sämtliche Optionen während der Installation eines Mailservers heißen...sowas macht kein IT'ler so oft, als dass man das wirklich jemals auswendig kennt. Später hab ich bei Kununu Bewertungen anderer Bewerber gelesen, die meinen Eindruck bestätigten, dass dieser Laden offenbar nur so tut, als wollten sie jemanden einstellen, aber eigentlich jeden Bewerber vorher schon vergraulte. Schien bei denen so übliche Taktik zu sein.
Firma 5, ein Unternehmen der Medizinbranche: An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass ich so meine Problemchen mit Stress und Nervosität habe...ich gerade also sehr leicht unter Stress, was gerade Vorstellungsgespräche in zu förmlicher Atmosphäre für mich zu einem Horrorerlebnis macht...besonders, wenn man gleich 5-6 Leuten gegenübersitzt und dann noch die achso beliebten (und m.E. überflüssigen) Stressfragen gestellt werden.
Gefordert waren "gute Englischkenntnisse"...was immer das heißen mag. Nun, meine Englisch-Sprachkenntnisse sind für einen IT'ler angemessen: ich kann die englische Sprache gut verstehen, ebenso Texte im technischen Fachenglisch lesen und schreiben. Aber wie bei so vielen Leuten hierzulande fehlt mir die Übung beim Sprechen. Wo nutzt man das hierzulande schon regelmäßig ? Sprich: Mal ein paar Sätze im Urlaub sind ok, aber ein längeres Gespräch auf Englisch bin ich nicht mehr gewohnt (früher war das mal besser..aber man wird ja auch älter, ne ;-)). Zudem würde ich nicht im Traum daran denken, das als "verhandlungssicher" zu betiteln, weil "verhandlungssicher" üblicherweise bedeutet, dass man auch Sachen wie Meetingprotokolle, Auftragsbestätigungen o.a. kaufmännischen Kram verfassen kann. Dazu fehlt mir einfach das nötige Backgroundwissen.
Nun, besagte Firma war vor geraumer Zeit von einer amerikanischen Heuschrecke..äh...einer amerikanischen Holdinggesellschaft übernommen worden und die hatten auch neue Bewerbungsrichtlinien herausgegeben. Dazu gehörte u.a. auch ein dreistufiges Vorstellungsgespräch. D.h. da musste wirklich JEDER neue Angestellte (von der Putzfrau bis zum Abteilungsleiter) erst ein Gespräch mit den Leuten vor Ort führen. Da wurde in der ersten Stufe auch die Englischkenntnisse abgefragt, aber das war eher Touristenniveau, was kein großes Problem war. Die zweite Stufe dann schon eher, denn dann sollte man ein zweistündiges Fachgespräch (Stressfaktor Nr.1) vor einer 6köpfigen Kommission ((Stressfaktor Nr.2) des amerikanischen Mutterkonzerns stattfinden. Und das Ganze in verhandlungssicherem Englisch (Stressfaktor Nr.3). Ich sag mal so: Ich war vorab so aufgeregt, dass meine Schwiegermutter an diesem Morgen 2x den Notarzt rief, der mich erst mit Beruhigungsmitteln vollpumpte (die nicht halfen) und mich beim 2.Mal sogar mitnehmen wollte, weil mein Blutdruck drauf und dran war, jede Skala zu sprengen. Ergebnis: ich hab das Vorstellungsgespräch abgesagt, weil ich es keinesfalls riskieren wollte, dass ich vor laufender Kamera einen Herzinfarkt kriege. Das ist mir so ein Job dann doch nicht wert.