Es ist schwierig, deine Fragen pauschal zu beantworten, aber auf alle Fälle wäre ich mit Worten wie "Ich kann deine Wut verstehen" sehr vorsichtig. Die gehen meistens nach hinten los. Weil du sie eben nicht verstehen kannst. Weil du nicht die selben Gefühle und Erfahrungen in dir trägst...
Wut/Gewalt und Hilflosigkeit sind zwei Seiten der selben Medaille. Wenn jemand in dieem Gefühlsmuster drin hängt, können sie schnell in einander umschlagen - das ist auch der Grund, warum viele "Opfer" später selbst zu "Tätern" werden. Oder anders gesagt, warum viele "Täter" früher selbst schmerzhafte Erfahrungen gemacht haben, die sie nie verarbeiten konnten.
Das mit dem Therapieplatz ist sicherlich eine gute Idee. Für dich selbst hab ich den Rat, bewusst darauf zu achten, dass du nicht in ihre Gefühle und Gefühlsmuster hineingezogen wirst - denn dadurch würdest du unbewusst beginnen, ihre alten (unverarbeiteten) Muster mit ihr weiterzuleben. Versuche stattdessen dir selbst bewusst zu machen, was für ein Mensch du bist. Dass du deine Freundin achtungsvoll behandelst. Dass du anders bist als diejenigen, die sie früher gemobbt haben. Und dass du ihr für keine verletzende Gedanken und Handlungen nicht zur Verfügung stehst.
Das ist eine besondere Herausforderung. Ich versuch es mal an einem (völlig willkürlichen) Beispiel zu erklären: Angenommen deine Freundin wurde für ihre Figur gemobbt. Also dass sie zu dick sei. Dann wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass deine Freundin das starke Bedürfnis hat, abzunehmen bzw. schlank zu sein - das wäre sozusagen ein Selbstschutzinstinkt. Durch den sie gewissen verletzenden Angriffen aus dem Weg gehen könnte. (Viele Menschen fallen aus solchen Gründen z.B. in eine Essstörung, das nur am Rande.) Nun würdest du als ihr Freund vermutlich mitbekommen, wie wichtig ihr ihre Figur ist, und sie bei ihrem Wunsch, abzunehmen bzw. schlank zu sein unterstützen, mit dem Hintergedanken dass du ja möchtest, dass sie sich "wohler" fühlen kann. So denken zumindest die meisten Menschen. Das Problem dabei ist, dass ihr Verhältnis zu ihrem Körper durch das ganze Mobbing geprägt ist, und sie ihr Leben an der Respektlosigkeit der Menschen, die sie gemobt haben, ausrichtet und damit nachträgtlich in gewisser Weise bestätigt, dass diese "Recht hatten". Wenn du also bedingungslos hinter ihrem "Selbstschutzinstinkt" stehen würdest, dann würdest du sie beim Verdrängen unterstützen und damit jeglichen Versuch, die Vergangenheit aufzuarbeiten, sabotieren. Und das Mobbing damit zum Teil eures Lebens und eurer Zukunft zu machen. Ist vielleicht etwas schwierig nachzuvollziehen, aber ich hoffe ich konnte es einigermaßen verständlich erklären.
Was du in so einer Situation konstruktives tun kannst ist dir bewusst zu machen, dass ihr Wunsch abzunehmen direkt mit dem Mobbing zu tun hat und bedeutet, sich dem Mobbing unterzuordnen bzw. den "Tätern" eine gewaltige Macht über das eigene Leben und den eigenen Körper zu geben. Und du kannst dich von diesen Gefühls- und Abhängigkeitsmustern distanzieren. Indem du bewusst beginnst, deine Freundin so wie sie ist gern zu haben. Ohne dass sie abnimmt. Indem du den Tätern für ihre verletzende Sichtweise nicht zur Verfügung stehst. Und indem du deiner Freundin nicht dafür zur Verfügung stehst, dass sie sich emotional diesen Mustern von seelischer Gewalt unterordnet und anpasst. Du würdest dadurch einen Gegenpol zu den mobbenden Personen bilden. Das kann zu Konflikten mit deiner Freundin führen (weil es sie mit ihrem verdrängten Schmerz konfrontieren würde)... und hier ist ein Punkt, an dem deine eigenen Möglichkeiten begrenzt sind: Es ist die Aufgabe deiner Freundin, ihre Erfahrungen zu verarbeiten und sich für deine Seite zu entscheiden (und damit die Personen, die sie gemobt haben, emotional loszulassen). Diese Aufgabe kannst du ihr nicht abnehmen, und durch falsches Verständnis würdest du ihre Versuche manipulieren. Was du tun kannst ist ihr als klarer und unerschütterlicher Gegenpol zur Verfügung stehen... als jemand, der für bedingungslosen Respekt steht. Insbesondere vor ihrem Körper (denn der Körper ist nunmal ein wichtiger Teil eines Menschen und nicht das "Eigentum" einer Person, das man nach belieben benutzen oder missbrauchen kann). Das gilt insbesondere auch dann, wenn sie selbst sich gegen ihren Körper richtet - das sind in der Regel Verdrängungsmechanismen und der Körper wird dabei zum Sündenbock gemacht.
Ich hoffe, dass dir mein Beispiel beim grundlegenden Verständnis deiner/eurer Situation etwas weiterhelfen kann, und dass ihr in Verbidnung mit der Therapie einen guten Weg findet, auf dem deine Freundin ihre belastenden Erlebnisse irgendwann hinter sich lassen kann. Und falls es euch ein wenig Hoffnung machen kann: Ein vollständig verarbeitetes Trauma wird in der Regel zu innerer Stärke / Charakterstärke.
Alles Gute!